fbpx

Wochenendrebellen

Groundhopping | Autismus | Wissenschaft | Podcast | Weltverbesserung

#47 Valentina liebt die Frankfurter Eintracht

Lieber Jay-Jay,

um zu „meinem“ Verein zu komme, muss ich (nein, möchte ich) ein bisschen ausholen. Ich war in der 4. Klasse, auf Klassenfahrt irgendwo im hessischen Umland. Ich war in der 4a und mit dabei war die andere vierte Klasse, die 4b. Am Ende der Woche wurde ein Fußballspiel eintracht-frankfurtangesetzt und wer darin spielen sollte, bestimmten die Schüler selbst. Als ich gebeten wurde, mitzuspielen, bin ich fast geplatzt vor Stolz. Ich weiß nicht genau, warum die Jungs (es waren tatsächlich nur Jungen) mich gefragt haben, vermute aber heute, einfach, weil ich bei den Mädchen als eine der schnellsten galt.
Ist auch egal, jedenfalls habe ich tagelang von nichts anderem geredet.

Dann hat mich eine ältere Grundschullehrerin beiseite genommen und sagte in etwa Folgendes: Sie könne mir die Teilnahme nicht verbieten, aber sie warne mich eindringlich! Ich würde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zusammengetreten werden, vielleicht mindestens ein Bein brechen.

Viertklässler in einer kleinstädtischen Grundschule. Ich war eigentlich ein zwar gelegentlich etwas vorlautes, neugieriges, aber doch eher leicht zu beeindruckendes Kind. Heißt: Wenn Lehrer etwas halbwegs nachdrücklich sagten, habe ich es normalerweise getan.
Diesmal nicht. Ich war fest entschlossen, auf den Platz zu gehen. Niemand würde mich davon abhalten.
Machen wir es kurz: ich habe mich nicht so wahnsinnig mit Ruhm bekleckert. Fußballspielen ist halt schon ein bisschen mehr, als nur schnell rennen können. Und ich hatte und habe immer nur auf Bolzplätzen und in der Freizeit gespielt. Wenn man als Mädchen in den Achtzigern Fußballspielen wollte, dann war das nicht so einfach: In den wenigstens Vereinen gab es genug reine Mädchen-Mannschaften – und Jungs sind halt ziemlich schnell körperlich überlegen, das macht keinen Spaß. Man hat Mädchen da auch einfach nicht hingeschickt. Nicht mal aus bösem Willen, es war einfach so.

Ich mochte aber immer schon Fußball. Vielleicht, weil mein Vater das auch mochte. Der war aber nicht beinharter Fan einer Mannschaft, so wie deiner wohl auch, der mochte einfach den Sport. Also habe auch ich mich nicht unbedingt an einer Mannschaft orientiert. Wenn man vor den Toren Frankfurts aufwächst, ist meist die Eintracht der Verein der Wahl. Die meisten Fußball-Fans, die ich kannte, waren denn auch Eintrachtfans. Aber ins Stadion gingen Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger eher die hartgesottenen Leute. So in der Mittelstufe, so 7. – 10. Klasse, gingen aus meiner Schule auch eher die etwas älteren hin, die mindestens ein bis zwei Jahre älter waren. Und das waren meistens Leute, die man zwar irgendwie ganz cool fand, wo man aber auch ganz zufrieden war, wenn die einen auf dem Schulhof nicht mit irgendwas aufs Korn nahmen. Ich kam jedenfalls gar nicht auf die Idee, ins Stadion zu gehen.

Nach Abi & Studium, also eine ganze Weile später, habe ich dann ein Volontariat in der Redaktion einer Nachrichtensendung gemacht. Natürlich gabs da auch Sportberichterstattung. Auch da weiß ich bis heute nicht, warum der Sportreporter ausgerechnet mich mit ins Stadion genommen hat. Aber ich bin ihm heute noch dankbar. Niemand, der einmal bei der Eintracht im Stadion war, wird diese Atmosphäre jemals vergessen. Da lege ich mich fest. Ich war völlig überwältigt. Da wollte ich jetzt so oft wie möglich hin. Es gibt natürlich viele beeindruckende Fankurven, die eine unglaubliche Euphorie entfachen können. Dortmund sicher, oder auch St. Pauli. Tatsächlich würde ich beide Vereine zu meinen zweitliebsten zählen.

Eintracht Frankfurt gilt ein bisschen als Diva. Das sehe ich eigentlich nicht so. Fast jeder Bundesliga-Verein hat Phasen in denen ein Management merkwürdige Dinge tut, ein Trainer die besten Spieler kaltstellt oder man gerade noch die Insolvenz abwendet. Dann wird gerne gesagt: Das sei typisch, hier sei immer alles besonders schräg.
Im Grunde sind es vor allem die Fans, die dem Verein heute sein Flair geben. Gerade haben die Frankfurter Fans einen Aktion gestartet, um den alten Stadionnamen zurückkaufen zu können (http://www.sge4ever.de/reclaim-the-name-samstag-ist-es-soweit/). Dafür haben sie aufgerufen, gemeinsam Lotto zu spielen, um vom möglichen Gewinn die Rechte am Stadionnamen zu kaufen. Sollte das nicht erfolgreich sein (was recht wahrscheinlich ist), wollen sie den Gewinn an die Eintracht-Jugendabteilung spenden. Das finde ich eine sehr schöne Idee.
Die Frankfurter Fans sind auch manchmal echte Witzbolde, die einen gewissen Aufwand betreiben. Neulich haben sie 3000 Euro gesammelt, um ein Flugzeug zu chartern(http://www.sge4ever.de/eintrachtfans-verleihen-ihrer-ironie-ueber-die-mainzer-fluegel/), das mit einem Banner über dem Stadion der Mainzer kreiste. Hinter sich her zog das Flugzeug ein Banner, das auf das Blitz-Ausscheiden der Mainzer im Europacup anspielte. Und darauf, dass die auch nicht mehr als eine Handvoll Mainzer Fans mit ins europäische Ausland gereist waren.

Die Eintracht war nach Bordeaux von unglaublichen 12000 Fans begleitet worden (http://de.uefa.com/uefaeuropaleague/news/newsid=2030727.html). Man kann diese Flugzeug-Aktion durchaus kleinlich oder albern nennen. Aber ich musste lachen. Es ist schon irgendwie sehr lustig. Und schließlich hat hier niemand eins auf die Mütze bekommen, sprich: Das ist eine friedliche Aktion gewesen.

Womit wir beim Punkt wären. Die Frankfurter Fans haben nicht den besten Ruf. Beim Abstieg 2011 hatten sich die Fans beim letzten Spiel in Dortmund mit einem Plakat präsentiert, auf dem sie sich als „Randalemeister“ bezeichneten. Das ist dumm. Ich finde das dumm. Eigentlich sind Fußball-Fans generell nicht so schlimm, wie oft ihr Ruf. Auch die Eintracht-Fans nicht. Aber es gibt hier sehr langjährige Fangruppierungen und neue Utra-Gruppen, die gelegentlich mal dazu neigen, ihre eigenen Regeln aufzustellen. So großartig die lautstarke Unterstützung der Nordwestkurve im Frankfurter Stadion auch ist, manchmal fühle ich mich da auch wie ein „Jubelperser“. Also jemand, der gefälligst mitzusingen hat, sonst wird er rüde aufgefordert, es zu tun. Tatsächlich wäre es ohne organisierte Gesänge sehr still im Stadion. Schließlich fängt selten jemand inmitten von 50.000 Fans mal zu singen an und alle fallen spontan ein. Wenn die Ultras und ihr Vorsänger da nicht den Takt und die Gesänge anstimmen, würde zwar bei Toren gejubelt, bei zähen, torlosen Partien aber höchstens ein Grundgemurmel herrschen.

Es hat also alles zwei Seiten: Zum einen tolle Fans, die großartige Choreografien in die Kurve zaubern. Riesige Bilder des Eintracht-Logos zum Beispiel. Und die 90 Minuten lang singen und hüpfen und eine unglaubliche mitreissende Stimmung im Stadion schaffen. Auf der anderen Seite sind diese beinharten Fans auch gelegentlich etwas von oben herab. Hat man nicht von Geburt an eine Dauerkarte, schon wird einem fast schon das Recht abgesprochen, sich als Fan zu bezeichnen. Auch nerven sie mich, wenn sie immer noch Schimpfworte gebrauchen, die einfach nur ehrverletzend oder frauenfeindlich sind. Auch die Eintrachthymnen sind textlich eher dumpf. Sowas darf man aber nicht laut sagen, weil es doch Tradition ist und überhaupt! Aber genau deswegen gehe ich weiterhin hin. Kurven müssen bunt sein und voller unterschiedlicher Menschen. So schön es ist, wenn alle wie aus einer Kehle brüllen und das können die Frankfurter gut: Die Kurven müssen auch mit Menschen gefüllt werden, die ihr Gehirn nicht bereits vor dem Anpfiff im Äppler (Frankfurt Nationalgetränk) ertränkt haben.

Vielleicht wäre es ein anderer Verein geworden, wenn mich jemand in ganz viele verschiedene Stadien mitgenommen hätte. Aber ich finde, man darf auch einen Verein lieben und ein paar weitere sehr gerne mögen. Einfach alles sportlich sehen und nicht vergessen: Nie aufhören, selbst zu denken!

Viele Grüße,
Valentina

Warum uns die Valentina schreibt erfährt man hier.

Show More

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert