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#57 Thomas liebt Fortuna Düsseldorf

Lieber Jay-Jay,

ich bin ehrlich: Es ist verdammt schwierig, sich einen Lieblingsverein
auszusuchen. Deswegen ist es sehr klasse, dass Du Dir mit Deinem Papsi jeden, aber auch wirklich jeden einzelnen ganz genau anschaust. Darauf bin ich manchmal echt neidisch.

Du könntest jetzt einen Weg gehen, auf dem man überhaupt nicht
stolpern kann, und Bayern-Fan werden. Das ist ganz schön super: Die
gewinnen immer, man kann sich jede Woche erst freuen und am nächsten Tag die anderen Kinder in der Schule ärgern!

Du könntest Dir eine Papp-Meisterschale über Dein Bett hängen, jedes
Jahr würdest Du darauf stolz eintragen – Meister 2015: Bayern München, Meister 2016: Bayern München, Meister 2017, na klar: Bayern München.

Wie gesagt: Das ist ganz schön super! Nur manchmal, ganz manchmal,
würdest Du Dich eventuell aufregen, weil Bayern zu wenig Tore
geschossen hat. Aber das wird ja im nächsten Spiel schon wieder viel
besser.

Außerdem wären alle Deine Lieblingsspieler auch immer in der
Nationalmannschaft, und die, das weißt Du ja noch, wird manchmal sogar Weltmeister! Du kannst Dich dann auch ein bisschen als Weltmeister fühlen, und auch das ist ganz schön super.

Das Problem, lieber Jay-Jay, ist allerdings: Das ist auch ganz schön
langweilig. Vielleicht hast Du auf den vielen Reisen mit Deinem Vater
schon gemerkt, dass Fußball viel mehr ist als nur Tore schießen. Dass
viele Menschen auch die Vereine lieben, die nur in der 2. oder der 3.
Liga spielen, die auch mal ein Tor schießen – aber irgendwie nicht so
häufig. Darum erzähle ich Dir, warum ich einen Verein liebe, der auch
nicht so häufig gewinnt: Fortuna Düsseldorf.

Ich weiß, Jay-Jay, dass wir sogar schon mal gemeinsam ein
Auswärtsspiel besucht haben. Beim SC Paderborn war das, ich habe auf der Tribüne gesessen und konnte von oben sehen, wie Du mit Deinem Vater im Fortuna-Fanblock warst, und da habe ich gedacht: Das wäre ja vielleicht ein super Verein für Dich. Fortuna hat sich an diesem Tag vor dem Abstieg in die 3. Liga (!) gerettet – das haben wir alle gefeiert wie eine Meisterschaft.

Ich habe mich damals auf einen Schlag in Fortuna verliebt. Als ich klein
war, vier oder fünf oder so, da ist mein Papa mit meinem großen Bruder immer ins Stadion gegangen, der war schon riesig, sieben oder acht oder so – und ich durfte nie mit.

Das hat mich fürchterlich geärgert, weil mein Bruder anschließend immer so geniale Dinge erzählt hat: Er hatte eine rot-weiße Fahne! Er durfte Süßes mit ins Stadion nehmen, bei Papa auf dem Schoß sitzen.
Und es gab Fanta und Bratwurst!

Da habe ich gedacht: Der schönste Ort der Welt muss wohl das Stadion sein – und so war es dann auch.

Als ich dann endlich mitdurfte, am 29. September 1984, war das der
allerschönste Tag für mich. Ich habe in der Nacht davor nicht
geschlafen, ich war sehr stolz auf mich und habe kein einziges Mal
darüber nachgedacht, mir einen anderen Verein als mein Papa zu suchen.
Weil: Wenn Fortuna mal ein Tor geschossen hat, du weißt ja, sooo
häufig ist das leider gar nicht, hat er mich durch die Luft gewirbelt,
geküsst und mir gleich noch eine Fanta geholt. Da habe ich mich ganz
groß und stark gefühlt – mein Papa und ich, wir beiden Männer, im
Stadion, beim Fußball! Gemeinsam!

Das ist jetzt 31 Jahre her, lieber Jay-Jay, und in diesen 31 Jahren habe
ich mich sehr, sehr häufig extrem geärgert. Wenn die anderen Kinder
wieder irgendwie coolere Vereine hatten, die auch mal Meister werden und immer in der Bundesliga spielen dürfen. Die nicht ständig so doofe Spieler mit komischen Namen und schlimmen Frisuren kaufen, die über den Ball stolpern und absteigen und wieder auf und doch wieder ab, die nur alle zehn Jahre mal wirklich gut sind. Mein bester Freund fand Bayern super, und da hatte ich wirklich ziemlich schlechte Chancen, ihn mal in der Schule zu ärgern.

Aber, Jay-Jay, weißt Du was? Ich gehe heute, 31 Jahre später, immer
noch mit meinem Papa zu Fortuna. Er ist alt geworden und hat keine Haare mehr, wir trinken jetzt beide echte Männergetränke, und er kann mich gar nicht mehr durch die Luft wirbeln, weil ich jetzt fast 90 Kilo wiege. Er meckert die ganze Zeit darüber, wie dumm und schlecht doch alle Spieler sind, und wenn die andere Mannschaft gewinnt (Du weißt ja, das passiert ziemlich oft), dann nimmt er seine Mütze vom Kopf, wirft sie auf den Boden und ruft Schimpfwörter. Das finde ich super. Er sagt dann, dass bestimmt niemals wieder ein Fortuna-Tor fallen wird.

Ich mache das genauso! Das habe ich früher bei ihm abgeguckt, ich
meckere mit, manchmal schaue ich dabei heimlich zu ihm herüber, ob ihm das gefällt.

Aber wenn ein Tor für uns fällt, Jay-Jay, das kommt ja
nicht so oft vor, dann springen wir auf, umarmen uns ganz feste, und wir rufen: „Wir haben es doch gewusst! Haha, unsere Fortuna wieder! Das war ja klar!“ Und wenn ich ganz ehrlich bin, fände ich es dann ganz toll, wenn er mir gleich noch eine Fanta holen würde, obwohl ich die gar nicht mehr gerne mag. Ich habe jetzt schon ziemlich Angst vor dem Tag, an dem mein Papa vielleicht nicht mehr mitkommen kann, weil er zu alt ist.

Aber weißt Du, was ich inzwischen mache? Ich nehme MEINE Kinder mit zu Fortuna. Sie können sich gar nicht sooooo richtig wehren, das ist dasTolle daran, wenn man Papa ist, und sie wollen so sein wie ich. Sie hoffen, dass Fortuna ein Tor schießt, weißt Du, das klappt ja leider
immer noch nicht so oft, damit ich sie durch die Luft wirble, sie küsse
– und ab und zu kaufe ich ihnen dann eine Fanta. Und das ist das
schönste Gefühl auf der Welt.

Dann, lieber, Jay-Jay, bin ich doch froh, dass ich damals nicht
Bayern-Fan geworden bin. Also: Überleg es Dir gut. Vielleicht sehen wir
uns ja mal wieder im Stadion.

Bis dahin viel Spaß und noch mehr Tore, vielleicht ja auch von Fortuna.

Thomas

Dem Meister des Wortspiels kann und sollte man auch auf Twitter folgen.

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