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Sandhausen Stadion

SV Sandhausen/SV Sandhausen-11. August 2013-0369.jpg

Das Sandhausen Stadion oder besser das Stadion am Hardtwald gehörte sicherlich nicht zu den Highlights unserer Reise. Die Anreise dorthin allerdings schon.

Es besteht vermutlich kein direkter Zusammenhang, aber in Zügen oder genauer gesagt in den Zügen, in denen wir I-M-M-E-R  sitzen, treffen wir immer genau auf eine dieser seltsamen Spezies, die ihre Verbundenheit zu Mutter Natur auf besondere Art und Weise zum Ausdruck bringen möchten.

Nicht, dass Ihr mich falsch versteht. Ich beneide z.B. Vegetarier um ihre Disziplin, zu der ich keinesfalls fähig wäre und ich finde es lobenswert, wenn jemand darauf achtet, ob die Banane, die er isst, auch in seiner Region angepflanzt wurde, und verehre die Spezialisten, die im Oktober im Supermarkt nach deutschen Erdbeeren fragen. Allesamt für mich kein Problem.

Der Naturliebhaber, den ich zutiefst verabscheue, platzierte sich im IC am 4er Platz mit Tisch mir schräg gegenüber und schob seine unbestrumpften und unbeschuhten Füße unter dem Tisch hindurch, um sie zielsicher neben mir auf dem Sitz zu platzieren. Vielleicht ist meine Abneigung dieser Unart gegenüber auch einer Art Fußphobie geschuldet. Ich habe schon schöne Ohren gesehen, schöne Schulterblätter, schöne Knie, schöne Hälse, schöne Waden, schöne Beine und schöne Augen sowieso. Aber schöne Füße? Never.

Ich kann Menschen auch nicht ernst nehmen, die ihren Fuß-Fetisch …

Boah, ich kann es nicht niederschreiben. Keinesfalls. Auch ich habe Niveaugrenzen, auch wenn einige viele dies bezweifeln.

Diese Naturburschen können es jedenfalls meist nicht unterlassen, durch Fußschnipsen auf ihre Drecksquanten aufmerksam zu machen. Fußschnipsen? Kennste nicht? Kennste!

Der dicke Onkel reibt beiläufig zur Lektüre am Zeigezeh (?), dessen vergilbte, viel zu lange Fußnägel sich um 45 Grad nach oben wölben und, je dicker die beiden Hornhautschichten sind, umso mehr klingt es, als würde man zwei grobkörnige Schmirgelpapierblätter  aneinander reiben.

Man blickt dann natürlich automatisch hin und erschrickt in Anbetracht der Tatsache, dass man keine Ahnung hat, wo diese Zentaurenhufe plötzlich herkommen, und ob hier noch eine Pediküre hilfreich oder der Besuch einer Werkstatt mit schwerem Gerät notwendig ist.

E-K-E-L-H-A-F-T ! Wieso tust du das? Lass das! Ich mag das nicht!

Hör auf damit!

Ich werde Dich sonst suchen und finden. Ich werde Dir auflauern. Ich werde Dich verfolgen und mich bei Deinem romantischen Dinner im Restaurant am Nachbartisch platzieren und meine Füße neben Deinem Salat platzieren und meine Zehen werden auf Deiner Tischplatte tanzen. Es wird lieblich klingen. Für mich. Und wie der blanke Horror für Dich.

Dieses Geräusch einer auf gefliestem Boden flüchtenden Krabbe, einhergehend mit dem Anblick meiner gastronomisch-fußballerisch geschundenen pflegearmen Füße, von dessen Fersen die Hornhaut auf Deinen Tellerrand rieselt, wird Dir den Appetit für dein restliches Leben lang verleiden.

Der Sohn schlummerte. Er schlief nicht. Er schlummerte.

Von der Mauken-Katastrophe bekam er nichts mit, weil er sich in einen Zweiersitz quetschte und sein Hörbuch hörte. Er musste es von vorne hören. Keine Ahnung warum. Die ersten beiden CDs waren ihm inhaltlich noch präsent, aber er müsse dies so machen. Ich fragte nicht weiter.

Wir waren auf dem Weg nach Sandhausen. Ich muss gestehen, dass ich nie zuvor da gewesen bin, aber so, wie ich mir gestern noch sicher war, dass dies sicherlich die letzte Reise dorthin sein wird, so kann ich nun für nichts mehr garantieren, denn es war nett. Nein, nicht die kleine Schwester von Scheiße-nett.

Richtig nett.

Der Bahnhof fing schon nett an, wie er so da liegt in St. Illgen, so völlig ohne Empfangshalle oder ähnliches, und der Andrang im Unterführungstunnel in einer Intensität, dass der Sohn bereit war, sein Geschäft stehend mitten im Tunnel zu verrichten.

Schweine? Ja, das macht man nicht. Das war nicht korrekt von mir.

Böser, böser, böser Papsi.

Aber ganz ehrlich. Ich hätte ihn auch direkt in den Zug seichen lassen, wenn es nicht anders geht. Denn der Sohn fand es zwar erheiternd, wie ich damals in St. Pauli nach Pisse gestunken habe, aber er selbst ist außerordentlich penibel und zieht auch schon mal gerne sein T-Shirt im Zug aus, weil beim Trinken ein Tropfen Wasser darauf gelangt ist.

Auf der Suche nach einem WC versuchten wir unser Glück ja zunächst in der Spelunke direkt gegenüber, einer Pizzeria mit dem herzlich einladenden kreativen Namen:

Restauration am Bahnhof

Leider aufgrund längerer Betriebsferien ohne Erfolg, was zur Folge hatte, dass ich den Sohn mangels Ersatzhose anflehte, sein Geschäft hier irgendwo zu verrichten. Kurz vor Platzen der Harnröhre erleichterte er sich zum Glück dann in besagtem Tunnel, was glücklicherweise niemand mitbekam, denn es war niemand da. Richtig. Niemand!

Wir waren weder sonderlich früh, noch sonderlich spät, aber am Bahnhof befand sich niemand. Dies konnte bedeuten, dass wir im falschen Ort sind, oder dass wir die einzigen Deppen sind, die diese Form der Anreise nach Sandhausen wählten. Letzteres war wohl das Problem, wie sich später herausstellen sollte.

Wir suchten die Bushaltestelle auf, die natürlich keinen „Stadion“-Wegweiser aufwies, und dessen Fahrpläne entweder angekokelt oder abgerissen waren.  Zwei Cottbus-Fans hatten sich mittlerweile zu uns gesellt. Alkoholisch leicht angeschlagen, hatten sie sich zu Fuß vom Bahnhof auf den Weg ins Stadion gemacht und sind nach ca.60 Minuten Fußweg bei uns (am Bahnhof) gelandet.

Es herrschte Ruhe. Keine Ahnung ob der Bahnhof zentral gelegen ist oder ob dies in Anbetracht der Größe des Ortes schon eine unsinnige Aussage ist, aber wir standen da nun eben so rum. Taxistand?

Ich sah nicht einmal ein Auto und hielt kurzzeitig die weitere Beförderung per Droschke für ebenso realistisch wie die Ankunft eines motorisierten Fahrzeugs. Tatsächlich kam dann aber nach ca. zehn Minuten ein Bus vorgefahren. Wir stiegen mit den beiden Cottbusser Hopfenvernichtern in den komplett leeren Bus.

Der Busfahrer, der nicht nur nett Auskunft gab, sondern den beiden Cottbus-Fans auf deren Nachfrage auch noch anbot, sie zu ihrem Treffpunkt zu fahren, läutete dann das Festival der netten Vorkommnisse ein. Am Stadion angekommen fiel recht schnell das üppige Banner auf, welches eine der Geraden schmückte.

„Gut für die Region“ ließ uns die Sparkasse wissen, und man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass man hier versuchte, ein wenig offen zu lassen, ob man sich selbst meinte oder den hiesigen Fußballverein. Vielleicht interpretier‘ ich aber da auch zu viel rein, weil immer wieder der Wunsch durchkommt, einmal ein Banner zu lesen:

„Scheiße für die Region, weil man von den Stadionsubventionen auch 387 Schulen und 231 Kindergärten hätte renovieren können“ Also jetzt nicht hier. Der Stadionbau wurde hier wohl größtenteils von einem Privatier namens Machmeyer gestemmt und auch wenn dies sehr einladend ist, liebe Anhänger von Hannover 96. Ich werde keine Witzchen darüber machen. Veronica Ferres mag das nicht.

Das abenteuerliche Gebilde aus leerer, kleiner, nur gegen den FC Kaiserslautern offener Gegentribüne, sowie einem Eingangslabyrinth aus Stahlrohren verlieh dem ganzen einen seltsamen und für mich irgendwie erfrischenden Charme. Es wirkte alles ein wenig provisorisch und eben nicht perfekt. Ich mochte dies sehr und war auch von der Blockaufteilung sehr angetan. Wir machten einen kurzen Abstecher zum gar nicht mehr so obligatorischen Schalkauf in den Rewe Fanshop. (Auch hier können sie sich die Suche nach einer Pointe sparen.)

Auch hier darf ich aber Nettigkeitspunkte für die Dame hinterlassen, die auf meine Frage, wo ich denn eventuell einen Rucksack verstauen könnte nur milde lächelnd sagte:

„Läschdne hald do.“

Vielen Dank noch einmal. Unkompliziert gelöst. Bevor wir also zu dem kranken Typen kommen, muss ich dann vielleicht doch noch erwähnen, dass der Cottbusser Gästeblock durchaus üppig befüllt war und der Nettigkeitenreigen lediglich von der klatschpappenden Haupttribüne und von Fangesängen, die eine Gedenkminute überdeckten, unterbrochen wurde. Auch den wappenabklopfenden Jovanovic würde ich eher in der Kategorie „Nichtsonett“ einordnen, auch wenn dahingehend auf ihn Verlass war, dass man ihn ansonsten im gesamten Spiel kaum wahr genommen hat.

Wir sahen ein recht ansehnliches Spiel, und auch wenn sich vermutlich jetzt viele Fußballexperten von mir distanzieren, muss ich sagen, dass mir auf unserer Tour spontan keine zwei Spiele einfallen, die kurzweiliger, abwechslungsreicher und ansehnlicher verliefen. Man hielt sich nicht lange mit irgendwelchen Kabinettstückchen auf und verzichtete, wenn auch vielleicht unbewusst, auf taktisch bedingtes Rumgeschiebe im Mittelfeld. Das Ganze getrieben von einer durchaus stimmungsvollen Kurve, welches eigentlich eine Ecke ist und einem Spieler, der mir mehrfach positiv auffiel.

Marco Thiede sollte man sicherlich einmal im Auge behalten.

Wir standen links neben der Heimfankurvenecke des Machmeierischen Rohrpalastes, was sicherlich eine hundertprozentig objektive Meinung zum Fansupport verhindert. Der direkt neben den aktiven Fans liegende Block hat uns ja schon das ein oder andere Mal irrwitzige oder lustige Szenen beschert. So sollte es auch diesmal sein.

Der werte Herr im Syndikat-1916-Shirt und der Ewald Lienen ohne Vokuhila-Optik und Uwe-Reinders-Gedächtnis-Schnäuzer, hatte es sich zur Aufgabe gemacht, unseren Block, also den eher inaktiven unmittelbaren Nachbarblock des Heimfanblocks. zum Mitmachen zu animieren.

Schon des Öfteren war ich verwundert über die Intention des Capos oder ähnlicher Fanfunktionen, zu dessen Rahmenbedingung es gehört, wenig vom Spiel mitzubekommen.

Ich weiß nicht, wo ich den guten Mann in der Sandhausener Fanhierarchie ansiedeln soll, aber ich will es mal mit der Beschreibung eines Freundes, Anfang 30, versuchen, der vor einigen Jahren stellvertretender Kapitän der 2. Mannschaft meines ursprünglichen Kreisliga-C-Heimatvereins werden sollte.

Er lehnte dieses Amt , feierlich zu späterer Stunde, nach drei bis 12 Pilsken, im Rahmen des örtlichen Heimatfestes der 800-Seelen-Gemeinde ab, obwohl ihm die alten Urgesteine des Vereins  versuchten zu vermitteln, welche Ehre es ist, neben dem klumpfußigen Mittvierziger Horst*, dessen technische Beschlagenheit an eine Telefonzelle der frühen Achtziger Jahre zu Zeiten der iPhone-Standards erinnert, den Vizekapitän zu geben.

* (echter Name der Redaktion bekannt – echtes Alter vermutlich höher)

Er begründete dies mit dem Leiden nach einer ähnlich demütigenden Gegebenheit zu Jugendfeuerwehrzeiten, wo innerhalb der acht Mann/Kind starken Einheit nahezu jeder eine Funktion auszuüben hatte. Vertrauensperson, Kassenwart, Schriftführer usw.

Er wurde damals dann zum stellvertretenden Schriftführer ernannt, was bedeutete, er assistierte jemandem, der eigentlich schon das niedrigste Maß an Verantwortung in der Jugendfeuerwehr innehatte, da es weder Protokolle zu schreiben noch irgendwelche Schriften zu führen gab.

Ich will Syndikat-Ewald nicht zu nahe treten, sah ihn aber ungefähr in ähnlicher Situation. Nach dem Capo und diversen Einheizern war er vermutlich eine Art stellvertretender Nachbarblockeinheizer. Und? Hat er ähnlich resignierend das Amt abgelehnt und sich seinem Schicksal ergeben? Nein.

Kurzhaar-Ewald ist ein Kämpfer. Immer wieder positioniert er sich direkt vor unserem Block, so dass es nur bis zu 10. Spielminute andauerte, dass ich die Plätze in der ersten Reihe gar nicht mehr so gut fand, weil er immer wieder zum Klatschen, Singen und Anfeuern animierte, ich aber einfach nur das Fußballspiel sehen wollte.

Der Sohn klatschte halb eingeschüchtert halb amüsiert mit, während Ewald mit dem Rücken zum Spielfeld sich in Supportekstase sang und förmlich flehte, die Mannschaft zu unterstützen.

„Los! Einmo alle zsamme!“

Patsch!

Tor für Cottbus.

Die Ewald-Kopie beeindruckte in seiner Reaktionsgeschwindigkeit. Benötigte er sicherlich zu lange 10 Sekunden um zu verstehen, dass seine Jungs ein Tor kassiert haben, so brauchte er im Anschluss  unfassbar kurze 0,5 Sekunden um sich der „Masse“ zuzuwenden und mit einem „Jetzt erst recht“ wieder den vollen Support einzufordern.

„Einmo alle“

Ewald schwitzte. Glücklicherweise wird in seiner hochrangigen Position an alles gedacht. Eine junge Dame reichte ihm ein Kaltgetränk zur Erfrischung. Ewald brauchte sich um nichts zu kümmern. Er nimmt einen kräftigen Schluck, bevor er sich wieder der ihm zugeteilten Menge widmete, die allerdings ein eher größeres Interesse daran hatte, das weiterhin abwechslungsreiche Spiel auf dem Platz zu genießen.

Man kann es sich sicherlich denken, was Ewald getrieben hat, als das 2.Tor für Cottbus fiel, aber so ist das Leben in der Beletage des Fußballsupports nun mal. Man kann nicht alles haben.

Der Sohn fand Ewald übrigens klasse! Und Sandhausen fand er auch gut. Vermutlich sind es die Halbzeitspiele, die den Sandhäusern irgendwann das Genick brechen werden. Die mag er wirklich nicht sonderlich gerne und auch das Stadion am Hardtwald glänzte jetzt nicht zwingend in einer Intensität, dass wir Gefahr laufen Jason würde auf die Nachfrage seines Lieblingsstadions antworten: Sandhausen Stadion.

 

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1 Comment

  • CarpeDiem

    Freut mich, dass es dir in Sandhausen gefallen hat. Hier ist vieles nicht perfekt (Stadion, Fanszene, etc) aber vielleicht macht es auch gerade dies Sympathisch. Der „Ewald“ hat sein Herz übrigens auch auf dem richtigen Fleck 😉
    Grüsse von Carpe Diem Sandhausen

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