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Südtribüne Dortmund

Borussia Dortmund/Borussia Dortmund-05. Dezember 2014-1910.jpg

Borussia Dormund – 1899 Hoffenheim, 05.12.2014

„Ich will auf die Süd!“ Wie man Freitag Mittag, wenige Stunden vor einem der letzten BVB-Spiele mit Jürgen Klopp als Trainer noch Tickets für die Südtribüne Dortmund bekommt und warum die Süd so besonders ist, dass sie auch Bestandteil des Buches „Wir Wochenendrebellen“ und auch des Wochenendrebllen-Films wurde? Einiges davon erfährt man in diesem Beitrag über unseren Besuch der berühmtesten Tribüne Europas.

Ich bin da echt zwiegespalten. So sehr ich doch die Erfolge in der tatsächlichen Underdog-Zeit anerkannte, vielleicht sogar befürwortete, so intensiv begann es mich auch zu nerven, dass dieses Image des Vereins auch in solchen Zeiten noch gepflegt wurde, als das Bild längst nicht mehr zeitgemäß erschien. Der Underdog war längst nicht mehr der Underdog. Der Platzhirsch? Nein. Die Rolle war längst vergeben, aber man war abseits des Automobilvereins in der Nähe von Hannover sicherlich die zweite Kraft, was es mir umso schwerer machte, den einstigen fiesen Pickel im Angesicht der doch so scheinbar berechenbaren deutschen Fußballmeisterschaft weiterhin zu mögen. Es nervte mich, dieses Bild der einzig geilen Fans in Deutschland und dieses vom Wunsch, den Arbeiterverein darzustellen, getriebene Handeln. Den Arbeiterverein gab es ja in mindestens 35 Vereinen der ersten und zweiten Liga nicht mehr.

Welcher Verein sollte das sein?

Romantischer Bullshit! Sechsunddreißig perfekt durchorganisierte Wirtschaftsunternehmen, wobei perfekt in diesem Business sicher nicht bedeuten muss, dass alle Entscheidungen auf hohem Bildungs- und Fachkompetenzniveau entschieden werden. Wenn Vertragskonstellationen und Ablösesummen und insbesondere Gehälter der Bundesliga ans Tageslicht geraten, kommt es immer wieder zu der schnell sicheren Erkenntnis, dass mindestens an einer Seite des Tisches, an dem die beiden Verhandlungspartner einst saßen, ein ziemlicher Idiot gesessen haben muss. Diesen Fakt möchte ich eigentlich aber eher als Beweis dafür herbringen, dass trotz teils sinnlos verprasster Gelder alle Vereine durchaus gesund und ohne große Komplikationen ihre Lizenz für die erste und zweite Liga erhalten. Und das wird in naher Zukunft vermutlich nicht anders aussehen. Die Anzahl von Medienberichten über die so dringend notwendigen Maßnahmen zur Schuldenreduzierung und aufgebauschte Horrorszenarien von finanziell bedingten, bevorstehenden Zwangsabstiegen halten sich in Grenzen. Wenn die Mannschaften aus dem Osten dazu kommen, wird die Bundesliga auf Jahre unschl…

Ich schweife ab, aber im Ernst.

Erfolgsstories von abbezahlten Stadien, erfolgreichen Millionenabschlüssen im Catering oder dem großen strategischen Partner, der sich auf welche Wege auch immer in den Verein gekauft hat, bestimmen die Szenerie. Welcher Verein auch immer hier den bodenständigen Kumpelclub verkörpern will, verkauft seine Anhänger für dumm.

Allein aus diesem Grund schon nervt mich dieses Bild, welches ich mir, vielleicht selbst auch nicht ganz unschuldig, aufzwängen lasse.

Mich nervts trotzdem. Nicht weil es Dortmund ist, sondern weil ich Finanzunterschied-Geheule selbst aus Sandhausen oder Aalen nicht hören wollte. Die Mannschaft des FC Bayern ist kaum mehr zu verbessern, und so liegt es an den Teams darunter, eben nun einmal mit ihren wirtschaftlichen Mitteln effizienter zu arbeiten. Oder sie lassen es.

Warum wird dieses Image des Underdogs nach außen hin weiter so geprägt?

Was erlauben sich diese Dortmunder Borussen?

Wo wir schon dabei sind, waren sie ja schließlich auch diejenigen, die der Düsseldorfer Fortuna den Klassenerhalt verwehrt haben, nur um ihre Spezis aus Hoffenheim…

O.K., das ist Bullshit, aber es war wirklich anstrengend, nach den Meisterschaften und vielleicht krönend im Hype um den deutschen Classico, Germanico oder welche Schrottbezeichnungen man damals noch für das Champions-League-Finale parat hatte.

Diese mediale, übermüdete Diskussion um den BVB und seine Zwistigkeiten mit dem FCB haben meine Sympathien für beide Vereine stark sinken lassen, und die Aussage passt ziemlich gut, wenn man berücksichtigt, dass einer der beiden Vereine zuvor schon im Sympathietabellenkeller sein trauriges Dasein fristen musste. Der BVB befand sich sozusagen für mich auf dem Weg zur völligen Gleichgültigkeit.

Meine Rest-Sympathien für die Schwarzgelben fußten daher auf der Bekanntschaft mit einigen sympathischen BVB-Fans, wie dieser stets vermummte Bike Hooligan und Ultra-Advokat aus München , sowohl im tatsächlichen Alltag, als auch im sozialen Netzwerk Twitter. Eine kleinere Rolle spielt vielleicht auch die Tatsache , dass meine Frau vom BVB recht angetan ist, aber sonst fällt mir nichts ein, warum ich nicht dem BVB, wie auch den weiteren dreißig Vereinen, mit einem aufrichtig von herzendem kommendem „Scheiß Verein“ begegnen sollte. Da findet sich doch bei jedem Verein was. Leverkusen? Homophobe Fans. alle. Wolfsburg? Nur Rentnerfans, die von der Schicht kommen. Alle. Schalke? Putin-Nah. Ekelhaft. Alle. Hoffenheim? Hopp-Jünger. Alle

So wie sich im Negativen immer etwas finden lässt, warum man einen Verein nicht mögen oder gar verabscheuen könnte, so ging es mir in der Vergangenheit öfter so, dass ich Vereine gar nicht mehr richtig verabscheuen konnte, weil ich über besagtes Netzwerk den ein oder anderen netten (nicht dieses nett, das andere) Fan eines Verein kennengelernt habe.
Meine Fresse, was war es mir Latte, wie der SC Freiburg am Wochenende gespielt hat, bevor ich Sven kennen lernen durfte. Nicht das ich jetzt SC Freiburg-Siege feiere, streng genommen ist es mir wahrscheinlich immer noch scheißegal, aber es huscht vielleicht doch ganz kurz der Gedanke vorbei, wie wohl der werte Herr Zugzwang das Spiel empfunden hat, wenn ich z.B. von einem grandiosem Kantersieg der Freiburger in Stuttgart höre.
Oder der VfB Stuttgart: Da denke ich jetzt immer zuerst an Herrn Kamke – obwohl auch er in diesem Fall einen Verein repräsentiert, der mir in Liga eins grundsätzlich genau so sympathisch ist wie in Liga fünf.
Dann der VfL Wolfsburg: dieser Bundesligist, so wunderbar wie der VW Golf Typ „Bon Jovi“. Inzwischen rutscht mir vielleicht ein kurzes „scheiße, aber wenigstens der Palloo freut sich“ heraus, wenn die Wolfsburger einen überraschenden Sieg feiern.
Freiburger, Schwaben, Werksclubs, da fehlt doch nur noch einer, zum dissen… richtig, ein Retortenverein. Womit wir beim FC Ingolstadt wären. Dieser Verein hatte für mich, auch wenn sie insbesondere aktuell wirklich attraktiven Fußball spielen, den Charme eines Baustellenmarathons auf der A7 auf dem Weg zur Arbeit. Im Polo. Im Winter. Bei offenem Fenster. Wegen dem Duft von Erbrochenem, der aus dem Kofferraum kommt.
Ich bräuchte die wirklich nicht, und mir fallen spontan auch nicht wirklich viele Vereine ein, die in der Vergangenheit weniger Attraktivitätspunkte sammeln konnten. Die Hoffenheimer haben den Julian, die Leberkuchener haben den Farbenstadt-Tobi, aber bei dem Level an Unattraktivität, was der FC Ingolstadt mir gegenüber offenbarte, reichte selbst die wunderbare Juliaurolis nicht mehr aus, es zu verhindern, dass ich wenigstens diesen Verein abgrundtief verabscheuen könnte. Schlimmer ist es eigentlich nur noch beim FC St.Pauli, wo man eigentlich so überhaupt keine netten Fans kennen lernt.
Und dann schlug der FCI zurück. Perfide verpflichteten sie jemanden, der authentisch rüberkommt. Der mit Herz UND Hirn Fußballer ist. Sich für soziale Themen engagiert. Ich fühle mich mit ekelhaftem Zwang verpflichtet und überaus widerwillig bereit, zu sagen: Seine Daseinberechtigung, in der Zweiten, wegen mir auch in der Ersten Liga, hat der FC Ingolstadt bei mir mittlerweile durch Ralph Gunesch – bei Twitter als @felgenralle bekannt. Und ganz ehrlich. Das liegt ganz sicher nicht an seinen fußballerischen Qualitäten. (Hahahaha, Autor muss gerade wirklich ganz herzlich lachen. Schön.)
Im Ernst. Ohne hier allzu viel Bauchpinselei betreiben zu wollen, sind wir uns sicherlich alle einig, dass, wenn die 5.000 aktivsten Fußballtwitterer ihre Ersparnisse für eine Vereinsgründung zusammenlegen würden, und einen Verein der Ersten, Zweiten oder Dritten Liga, nach Umgehung der 50+1 Regel, in die Hände bekämen, der Felgenralle ganz sicher einer der ersten Transfers wäre. Alt. Verhältnismäßig billig.
Und vermutlich würden wir bei unserer 5.000-Mann Abstimmung ihn, trotz seiner fußballerischen Qualitäten, in die erste Elf stellen. Wir wollen halt so einen richtig hippen, fußballromantischen Verein gründen. Da spielt mehr als fußballerische Qualität eine Rolle. Einen Verein, von dem wir alle, unabhängig von den Farben unseres Fanherzens, Fan sein können. Ausnahmslos alle.
Ein Ribéry wäre also bei dieser Abstimmung nur wegen meiner Stimme (vielleicht nehmen wir ja die 50.000 aktivsten Fußballtwitterer) raus. Ein Robben auch. Neuer? No way. Götze? Niemals. Alle raus. Nur wegen meiner Stimme. Und jetzt sortieren noch die anderen 99,9 % der Twitterer ihre Kandidaten aus. Da bleiben nicht viele.
In unserem gegründeten Twitterverein wäre somit wohl tatsächlich dem Felgenralle ein Stammplatz sicher. Wir sind nicht wirtschaftlich orientiert. Wobei man nicht unterschätzen sollte, welchen wirtschaftlichen Wert Ralph Gunesch wohlmöglich für den FC Ingolstadt hat. Spannende Frage für jemanden, der vielleicht was mit Betriebswirtschaft, vielleicht aber auch mit Marketing zu tun hat.
Meine ich das ganz im Ernst? Der FC Ingolstadt wurde trotz seines potenten Geldgebers in den sozialen Medien weitestgehend von Beschimpfungen verschont. Warum eigentlich? Kann hier irgendjemand einigermaßen seriös beantworten, welchen Anteil daran Ralph trägt und vielleicht sogar sagen, ob dies wirtschaftlich positive Einflüsse auf den Verein hat oder ob dies einfach nur völlig verklärte Wahrnehmungen sind, geschuldet den Eindrücken der eigenen Twitter-Filterblase?
Versteht noch irgendjemand, was ich eigentlich sagen will?
Ich hasse schon lange keinen Verein mehr, aber es gibt auch eben immer weniger Vereine, die ich verabscheuen kann, weil ich dann doch irgendwie nicht will, dass mein Schatz mit frischem Kreuzband in seiner BVB-Unterwäsche weinend auf seinem Bett sitzt und dreiunddreißig Mal das „Klopp unser“ betet. Auch der Gedanke daran, der werte Herr Rebiger, der liebenswerte Herr Schultze oder natürlich auch mein Herzilein, könnten nackt, toll Kühne vor Freude auf dem Küchentisch tanzend, den HSV-Sieg feiern, reicht mir, um jedem Bundesliga-Ergebnis einen kleinen, persönlichen, mich motivierenden positiven Punkt abzugewinnen.
Ein Fluch und ein Segen. Ich vermisse die Abscheu, die ich einem Verein entgegen bringen kann. Entweder er ist mir vollkommen egal oder ich finde ihn vermutlich ziemlich kacke und trotzdem findet man dann zu jedem Verein einen Menschen, für den man sich mitfreuen kann. Die gibt in den ekligsten Farben, in jeder Ecke, sogar in königsblau.

Dies könnte vielleicht einerseits anzeigen, wie schnell mir Menschen ein wenig ans Herz wachsen können, könnte aber auch ein Indiz dafür sein, wie extrem überdrüssig ich diesem ganzen Hype um Fußball der besten Liga der Welt und der besten Zweiten Liga aller Zeiten gegenüberstehe.

Ätzend, und wenn man dann bedenkt, welche hirnverbrannte Scheiße an Informationen es dann in die Medien schaffen, kann einem schon ein wenig schlecht werden. Heute las ich, dass ein Spieler eines Bundesligisten sich irgendwo den Studentenpreis erschlich.

Super.

Ich mag beide Urteile nicht.

Nicht die des gierigen Fußballprofis, der die Gesellschaft betrügt (hängt ihn!), und auch nicht den Blickwinkel derjenigen, die sagen, wie toll und bodenständig so eine Aktion ist. Endlich. Ein Profifußballer, der mit beiden Beinen im Leben steht. Klasse.

Welche Ansicht ich mag? Ich mag den Blickwinkel derjenigen, denen es völlig scheissegal ist, wer welches Auto fährt, und wer mit welchem Outfit zur Weihnachtsfeier kommt, und eben auch, wer mit welchem Eintritt in eine Veranstaltung gelangt.

Verzeihung, ich gerate ins Plaudern. Wo wollten wir eigentlich hin?

Aber was erlauben sich diese Dortmunder Borussen?

Der Sohn und ich wollten wieder Mal losziehen. Eigentlich mussten wir sogar. Jay-Jay ist unruhig geworden. Er spürte, dass sich bei mir kleinere beruflichere Veränderungen ergeben haben, die es mir aktuell nicht mehr ermöglichten, planbar mit ihm ein Stadion in Angriff zu nehmen.

So konnten wir in besagtem Fall erst am Donnerstag entscheiden, ob wir am Freitag eine unserer Touren antreten wollten. Zumindest ich konnte mich bis zu diesem Zeitpunkt dann endlich entscheiden, ob eine Tour möglich ist. Der Sohn nahm sich auch in Anbetracht des großzügig zur Verfügung stehendem Zeitfensters von weniger als 24 Stunden bis zur Abfahrt noch eine Nacht Zeit und teilte mir dann am Freitag mittag nach der Schule mit, dass er sich das jetzt noch einmal alles in Ruhe überlegt hatte und er nach Dortmund fahren möchte.

Alternativ stand der Ostalb-Classico Heidenheim gegen Aalen zur Auswahl, was sicherlich ebenfalls reizvoll gewesen wäre, aber der Sohn entschied sich nunmal für Dortmund. In Anbetracht seiner bisherigen Entscheidungsprozesse und Auswahlen eine ungewöhnliche Entscheidung.

Da ich bereits mehrfach auf die Nase gefallen bin, klärte ich mit dem Sohnemann vor meiner festen Zusage, was die Tour noch stoppen könnte. Eine feste Zusage und dann die Tour nicht machen, wäre ihm einen ziemlich fiesen, aber gerechtfertigten Ausraster wert. Ich schilderte ihm die eventuellen Probleme, die entstehen könnten, und wir vereinbarten einen Alternativplan.

Unter anderem bestand ja auch die Problematik, am Spieltag Tickets für eines der am besten ausgelasteten Stadien Europas zu erhalten. Und das mit dem speziellen Wunsch des Sohnes, wenn schon in Dortmund, dann auch in der gelben Wand zu stehen.

Ich erfragte daher bei Twitter, ob uns jemand mit zwei Karten für die Dortmunder Südtribüne aushelfen könnte, nicht zwingend in der großen Hoffnung, über diesen Weg dann auch tatsächlich Tickets zu erhalten. Innerhalb kürzester Zeit boten mir sowohl der Jens, als auch der @Döhmen Tickets an, und noch bevor ich mir Gedanken machen konnte, wie ich jetzt noch die sechs Stunden Autofahrt zu den Tickets in drei Stunden realisieren kann, damit wir es überhaupt zum Anstoß noch schaffen können, boten Patrick und Nina ihre Hilfe an, die in Bonn ansässigen Tickets mit nach Dortmund zu bringen und Bezahlung und Rückübergabe mit allem Drum und Dran für uns abzuwickeln. Unser Dank? Wir haben den Zeitpunkt für die Ticketübergabe so versaut, dass die beiden noch den Anfang des Spiels verpassten.

Was erlauben sich diese Dortmunder Borussen?

Unfassbar. Ich war wirklich tief beeindruckt und weiß das sehr zu schätzen. Danke nochmals.

Da standen wir dann nun. Mit 25.000 Menschen auf engstem Raum, und ich kann mich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, wann ich das letzten Mal in so unangenehm beengendem Ambiente Fußball live gesehen habe. Furzte mein Vordermann konnte ich den warmen Luftzug spüren. Ich will nicht zu viel über mein Sexualleben reden, aber es war deutlich intimer als mit meiner Frau in den letzten vierzehn Tagen. Da wir dank meines Vertrauens in einen Erbsensuppe schlürfenden, schwerstbetrunkenen Anhänger der Schwarzgelben zeitlich arg in die Bredouille gerieten (ich hatte ihn nach dem Standort eines Biergartens befragt an dem wir uns zur Ticketübergabe treffen wollten), verpassten wir das vermutlich sehr beeindruckende Eingesinge des schwarz gelben Anhangs. Sowohl die klassischen BVB Songs wie „Heja BVB“ als auch die Muss-weil-Image-und-Kult-prägende „You’ll never walk alone“-Hymne verpassten wir, was mich ein wenig für den Sohn ärgerte, weil er dies beim Studieren von Youtube-Videos sehr beeindruckend fand. So stand ich dann gequetscht neben Kippen-Dieter und Schluck-Horst, deren Vorlieben sich in sehr kurzen Zeitabständen bemerkbar machten.

Während Dieter im Spiel mehr Kippen wegquarzte, als Spieler auf dem Feld standen, nervte mich bei Horst nur der Ellbogen im Gesicht, wenn er die Arme anhob, um seine Pfandbecher über den Kopf zu erheben, und er sich durch die Masse zu bewegen versuchte, um sich noch einige Hopfenerzeugnisse zu gönnen. Aber das passierte höchstens zehn Mal. Und die Bierduschen waren klasse. Hey, es waren insgesamt sogar drei.

Bei nur einem erzielten Tor.

Merkt ihr selbst, ne?

Eine Bierdusche bereitet mir schon so unfassbar viel Freude, aber wenn es dann drei sind. Gerade weil es zwei Mal nun mal gar keinen Anlass zur Freude gab, waren diesen Duschen so erfüllend.

Ihr habt verstanden. Es war eng. Und ich fand es bis dato nicht wirklich toll.

Der Ordner, der Millimeter genau beobachtete, ob man eine gelb markierte Linie übertritt, die das Ende des Stehblocks kennzeichnet, obwohl davor bis zur Absperrung noch gut ein Meter Platz ist, faszinierte mich. Wie gemütlich er sich innerhalb seiner 12 Quadratmeter frei bewegte, um mich wieder gekonnt auf meinen schuhkartongroßen Stehplatz zu dirigieren. Großartig. Ich überlegte kurz, wer von uns beiden gerade Geld bezahlt hat, und wer gerade Geld bekommt, doch nach längerer Diskussion, in der es auch schmutzige Witze zum Thema Haltung von Nutztieren gab, gab ich nach, weil er im Gegenzug den Sohn vorne an der Barriere stehen ließ. Damit konnte ich leben. Jay-Jay hatte einen Super-Platz und ich stand gute 5 Meter von ihm weg und konnte ihn gut sehen, abhängig von Horsts Ellenbogen Bewegungen sogar mit beiden Augen.

Er genoss. Er genoss das Spiel in vollen Zügen. Das sah bei ihm gänzlich anders aus als bei den anderen fünfundzwanzigtausend, aber das macht mir den verrückten Hund auch nicht unsympathischer. Aber auch das Verhalten der Dortmunder Fans machte mir Spaß.

Ja, der Hurensohn-Zähler schlug vermutlich ein gutes Dutzend Mal zu.

Und nur ein einziges Mal galt der Ruf dem werten Herrn Geldgeber der TSG 1899 Hoffenheim. Erstaunlich. Ramos? Ein Hurensohn. Der Bierverkäufer? Ein Hurensohn. Der Schiedsrichter? Ein Hurensohn. Ich konnte das in der Häufigkeit gar nicht mehr vollständig verarbeiten, weil es fast wie eine alltägliche Begrüßung unter Freunden klang. Der inflationäre Gebrauch erlaubte es mir, das Gehörte nicht auf eine einzelne Gruppe zu beziehen. Alles Hurensöhne. Der Hurensohn schien die Ghettofaust der Rütli-Schule zu sein.

Aber, lassen wir das Mal beiseite, so mochte ich die Art und Weise, wie dort Fußball konsumiert wurde. Es wirkte essentieller. Es ist nicht dieses Gefühl, was wir oft in Stadien haben, dass dort eine Gruppe Menschen steht, die entweder belustigt werden möchte von dem Geschehen auf dem Platz, mit all dem tollen Drumherum. Es war auch nicht das ebenfalls häufige Gefühl, dass dort eine Gruppe von Menschen steht, die sich einfach selbst feiern, weil sie so geile, echte Fans sind, ihr tatsächliches Interesse am Spielgeschehen mir aber oft als mindestens zu gering erscheint. Ich habe keine Ahnung welchen Anteil Klopp an dieser Fußballromantik in Dortmund hat oder ob ich vielleicht nur dem #EchteLiebe Marketing auf den Leim gegangen bin, aber das war schon ziemlich phat.(Sagt man das heute so?)

Für die um mich herumstehenden Menschen gibt es kein Fußballspiel ihres Teams außerhalb des Relevanz Radars. Man merkte, dass die Geschehnisse auf dem Platz, gleich in welche Richtung das geht, jeden verdammten Beteiligten in diesem Monsterblock noch weit über das Spielende hinaus in seiner Laune und in seinem alltäglichen Leben beeinflussen wird.

Hier auf der Südtribüne Dortmund wirkte Fußball nicht essentiell, er war es.

Vielleicht war es ein wenig der Tabellensituation und der Vorgeschichte des BVB geschuldet, aber die erste Viertelstunde konntest du in der Kurve spüren, wie man mitfiebert. Du konntest in jedem einzelnen Gesicht sehen, wie ernst er oder sie diese Liebe zu seinem Verein nimmt. Da zockt keiner nebenbei groß mit dem Handy oder spielt Candy Crush, da hast du nicht in der ersten Minute der zweiten Halbzeit einen Millimeter mehr Platz, nur weil vielleicht noch 1,5% des Blocks an einem Bier- oder Wurststand festhängen. Hier applaudierten und standen drei komplette Tribünen kurz vor Schluß nach einem eins zu null Heimsieg gegen die TSG 1899 Hoffenheim.

Ich habe auch niemanden gesehen, der vor Spielende das Stadion verließ, zumindest niemanden, bei dem ich nicht ausschließen konnte, dass der gleich mit Bier bepackt wiederkommt.

Das war schon ziemlich beindruckend, aber ich will auch nicht wieder ein Riesenfass aufmachen, wer Fußball wie empfinden soll und darf, aber selbst für mich ganz persönlich, als fremdes Herz im Block, fühlt sich das Erlebnis Live-Fußball auf Schalke und auf Dortmund schon noch einmal sehr speziell an.

Mir geht es hier nicht um Lautstärke, Kreativität an Fangesängen oder um die Anzahl an geschwenkter Fahnen. Und wenn eine Fangefolgschaft es für sich dulden möchte, dass eine bekannte Nazigröße sich so dauerhaft treu ohne jegliche Gegenwehr zeigen darf, dann ist das bedenklich, aber eben nicht das, was diesem Besuch eine Faszination bescherte, die wir zuvor nur auf Schalke hatten. Hart für beide Seiten. Ich weiß, aber so ist nun Mal mein Empfinden.

St. Pauli war ähnlich intensiv zu erleben, aber da hat es nicht diese essentielle Note. Diese Abhängigkeit von einem Resultat. Die gewinnen sicherlich auch gerne, aber der Anhang strahlt auch im intensivsten Support eine ganz andere Gelassenheit aus. Chillig. Wäre toll wenn wir gewinnen, wenn nicht, dann spielen die hoffentlich wenigstens so einen Mist, dass wir uns zwei Astra mehr reinknallen können. Ich mag die Stimmung, und das meine ich keinesfalls sarkastisch. Ergebnissouveräner Support. Das ist der ganz heiße Scheiß.

Aber nun gut. Wir standen also in der gelben Wand, und ich hatte besten Blick auf meinen Sohn, der sich die Hände rieb, auf die Lippen biss, die Oberschenkel aneinander rieb, als müsste er dringend auf Toilette, oder mit offenem Mund durch die Gegend starrte. Manchmal wirkt er dann fast gelangweilt, aber es ist für ihn der Genuss pur. Er beschrieb es mir mal als das gegenteilige Gefühl vom „Krieg in seinem Kopf“, den er mir einst genaustens erklärte, und der mich erschütterte und mitnahm.

Hier ist es nun umgekehrt. Er kann einen glasklaren Gedanken fassen. Es ist vielleicht nicht zwingend ein mit dem Spielgeschehen verbundener Gedanke, aber wenn er eine Unebenheit in einer Mauer erkennen kann, oder er einen farblich schönen Aufkleber mit einem Wappen entdeckt, dann kann ihn das schon einmal gedanklich eine Weile binden.

Er wirkt dann sehr friedlich und nachdenklich. Eine wunderbare Phase. Außerhalb von Stadien kommt dies vielleicht mal beim Zugfahren vor, wenn er längere Zeit aus dem Fenster schaut und man den Eindruck hat, er verfolgt einen spannenden Film im Fenster des ICE-Bordbistros.

Diesen Erlebnisgenuss hatte er in Dortmund auch, ummantelt von lautstärkebedingten oder bierduschenabhängigen Hochgefühlen. Er mochte dies sichtbar.

Ich vermag noch nicht einzuschätzen, ob es ein taktisch unkluger Zeitpunkt war, zum BVB zu fahren. Vielleicht kam diese Serie von Niederlagen zu einem günstigen Zeitpunkt, und er erdete das Verhalten des Dortmunder Anhangs auf ein sehr angenehmes Niveau.

Vielleicht sind die hier aber auch immer so irre, und zumindest Teile dieser Mythos-Kult-Hysterie, die manchmal um den Verein wabert, hat einen gesunden, beeindruckenden Ursprung.

Abgesehen von den trölfzig Hurensohn-Schreien ein ziemlich imposantes Erlebnis, und dies war nicht der Masse an Menschen auf viel zu kleinem Raum geschuldet, sondern der Stimmung, die sie unabhängig von Lautstärke verbreiteten. Anspannung, Nervösität, befreiender Jubel. Hadern, Zittern, um dann doch am Ende wiederum befreit aufjubeln zu können. All‘ die unbeholfenen Beschreibungen von Reportern, die die abwechslungsreichen Phasen eines tollen Fußballspiels beschreiben sollen, konnte man hier eins zu eins zur Beschreibung der Atmosphäre benutzen. Wie gesagt.

Ganz undespektierlich. Es war ein Heimsieg gegen die TSG Hoffenheim und nicht der Einzug ins Champions-League-Halbfinale.

Wo kann man das genau so miterleben?

Was sagt der Sohn dazu?

Nun ja, machen wir es kurz.

Was erlauben sich diese Dortmunder Borussen?

Er will da wieder hin. Ganz unabhängig vom Regelwerk. Und er fragte mich viele seltsame Dinge auf der Rückfahrt. Ob er auch Fan von zwei Mannschaften sein könnte oder von dreien. Oder noch mehr. Ob er vielleicht auch einfach erst einmal ein paar Vereine gut finden könnte und sich freuen dürfte, wenn diese gewinnen, und wenn wir sie live sehen. Und die er hassen dürfte, wenn sie verlieren. Und ob wir, egal wie viele Mannschaften er gut findet, weiter unsere Touren machen könnten. Vielleicht die vierten Ligen dazu zu nehmen könnten. Natürlich nur zur Sicherheit. Ich antwortete brav.

Beim Spiel waren die Sympathien früh verteilt. Das lag nicht an einem unglaublich geschmeidigen Gündogan und auch nicht am abschlussschwachen, aber sonst sehr starken Mickydingsbums, der mehrfach aufblitzen ließ, was von ihm noch zu sehen sein wird. Leider lag es auch nicht an bendereskem Zweikampfverhalten oder an schmelzerschen Grätschen, wie man sie sich heute in der Dritten Liga kaum noch zu wünschen wagt. Wunderschön!

Tönte Jay-Jay zuvor noch, er würde sich hinsetzen, wenn alle singen würden, man müsse aufstehen, wenn man Borusse ist, so war die Neutralität schnell verloren. Er würde den verdammten Schal sofort ausziehen, wenn sie gegen Hoffenheim hinten liegen. Keine einzige Minute des Spiels würde er sich anschauen, so lange sie hinten liegen. Der Sieg der Schwarz-Gelben schien ihm essentiell.

Oh. Er hatte wohl Gleichgesinnte getroffen.

Er nimmt das Wort Fan nicht in den Mund, Gerede und Gelese, was echte Fans sind, hat ihn verwirrt, aber er mag den BVB.

Das ist wohl vorerst nicht zu verhindern (ich gebe aber weiter alles).

„Mein Herz hat gehüpft, als alle gehüpft sind.“, sagte er.

Was sich wie die erste fußballromantische Pfeilspitze mitten in Papsis fortunelles Herz anhörte, entpuppte sich eher als biologisch-lustiger Quervergleich. Das Hüpfen der gesamten Anhängerschaft hatte die Südtribüne in Bewegung gesetzt. Ich bin mir selbst nicht hundertprozentig sicher, ob dies statisch und bautechnisch sein kann, aber ich kann bestätigen, dass es sich für mich tatsächlich ebenfalls so anfühlte. Als wäre die Süd in Schwingung. Ein zunächst ekelhaftes, und dann doch sehr belustigendes Gefühl, weil man schnell trotz der Enge realisierte: nee, hier stehen ja genau so viele wie sonst auch. Einstürzen kann das hier nicht. Der Sohn kannte das Gefühl aber nicht, was ihn aufregte, erst immens beängstigend, weil er dachte, es stürzt etwas ein, später bespaßend, wie ein Ritt auf dem Kinderrodeo.

„Mein Herz hat gehüpft“ hieß also nicht anderes als „ich habe mir fast in die Hose geschissen, aber danach war es ganz cool“.

Was erlauben sich diese Dortmunder Borussen?

„Papsi, den BVB finde ich ganz gut.“

Neuigkeiten rund um die Südtribüne Dortmund und den BVB.

Bilder der Südtribüne Dortmund.

Choreografie der Südtribüne Dortmund gegen Màlaga CF.

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Choreo der Südtribüne Dortmund, April 2013.

Wir Die Wand. Dokumentation über die Südtribüne Dortmund.

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10 Comments

  • […] Hochpunkte, denn den höchsten Punkt kann es schließlich nur einmal geben). Wir waren auf der Südtribüne in Dortmund, beim Aufstiegskampf in Frankreich, haben in Mailand das Abschiedsspiel von Javier Zanetti gesehen […]

    Antworten
  • FAnpost BVB

    […] nicht, dass ich mich nahezu jederzeit mit Begeisterung über Fussball im allgemeinen und den BVB im Besonderen austauschen kann. Vereinsmitglied seit 1997. Fanclubmitglied seit 2010 (Münchener […]

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  • FAnpost Berlin

    […] fahren mussten und ich am nächsten Tag wieder Schule hatte. Er hat mir auch mal einen Schal von Borussia Dortmund geschenkt, den er von einer Dienstreise mitbrachte. Ich begann, Fußballschals zu sammeln. Ich […]

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  • Schonnebeck

    […] BVB und […]

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  • BVB
    BVB

    […] Dortmunder Actien Brauerei gearbeitet. Das ist ein Bierhersteller und war damals ein Sponsor des BVB. Von besagten Nachbarn bekam ich oft Werbegeschenke von DAB zugesteckt und eines Tages eine […]

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  • FAnpost F95

    […] gegen Rot-Weiß Essen verarbeite ich heute noch) aber auch DFB-Pokal-Krimis gegen den BVB. Und natürlich wollen wir auch die ganzen traumhaften Erstrundenbegegnungen im XXX-Pokal nicht […]

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  • KurtBorsig
    KurtBorsig

    die 100 Jahre Einleitung hätteste als Intro zusammenschneiden können, hatte fast schon abgeschaltet. Danach war schön =). Manchmal vergisst man was man hat. Danke

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  • Medienfreundin
    Medienfreundin

    *seufz*

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  • dierudola

    Wunderschön.

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  • AlexF
    AlexF

    Sehr schöner Artikel, eine Sache trotzdem zur Anmerkung. Dortmund selbst gibt sich nicht so ganz als Arbeiterclub aus, wie z.B. Schalke. Auch nachzulesen ind em sehr sehr guten Buch „Wenn wir vom Fußball träumen“ von Christoph Biermann.

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